Gemeinsam mit der Studierendenvertretung der Sprachwissenschaft haben wir einen offenen Brief an den Bildungsminister verfasst. Darin positionieren wir uns zur neuen UG Novelle, dem Kontext, in dem sie entsteht und den Zielen, die sie vorgibt, erfüllen zu können. Den Brieftext findet ihr hier, es wird auch noch eine Stellungnahme von uns auf der Seite des Parlaments veröffentlicht.
Offener Brief zur UG Novelle An Herrn Univ.-Prof. Dr. Heinz Faßmann Minister für Bildung, Wissenschaft und Forschung Minoritenplatz 5 1010 Wien Sehr geehrter Herr Univ.-Prof. Dr. Heinz Faßmann, wir, die Studierendenvertretung der Bildungswissenschaft und die Studierendenvertretung der Sprachwissenschaft, möchten Ihnen unsere Frustration über die geplante Universitätsgesetznovelle mitteilen. Sowohl der Weg zur Novelle als auch die Ziele und Maßnahmen in der Novelle sind aus unserer Sicht problematisch!
Wir sehen zwar ebenfalls den Bedarf, dass das Universitätsgesetz aus 2002 überarbeitet wird, jedoch empfinden wir das Fortschreiten einer so umfangreichen Novelle des Universitätsgesetzes mitten in einer Pandemie als dreist. Das Studieren an den Universitäten ist durch zahlreiche Faktoren bereits erheblich erschwert (z.B. verschobene/abgesagte Prüfungstermine; veränderte Prüfungsmodalitäten; fehlende soziale Kontakte/Austausch; erschwertes/Home Learning). Zusätzlich befinden sich viele Studierende nun in noch prekäreren Lagen als vor der Pandemie (z.B. Wegfall von Studierendenjobs; Betreuungspflichten durch geschlossene Kindergärten und Schulen). Hinzu kommt, dass die Begutachtung direkt in die Zeit um Weihnachten und Neujahr, sowie in mittlerweile zwei harte Lockdowns fällt, in denen Studierende neben dem Wahrnehmen familiärer Verpflichtungen sich parallel auf den kommenden Abschluss des Semesters mit Prüfungen und Abgaben vorbereiten müssen, während sie sich an die wechselnden Maßnahmen halten müssen. Dies erschwert nicht nur den Informationsaustausch über die Novelle zwischen den Studierenden selbst, sondern auch mit der restlichen Zivilbevölkerung, deren Aufmerksamkeit verständlicher Weise vor allem auf die Pandemie und den damit einhergehenden direkten Auswirkungen auf ihr eigenes Leben gerichtet ist. Demonstrationen sind traditionell eine Möglichkeit für Studierende, sich an dem Prozess der Gesetzeserarbeitung zu beteiligen und ein äußerst wichtiges Medium, um Protest auszudrücken. Unter den gegebenen Umständen ist gerade dies zusätzlich erschwert. Beispielhaft ist zu nennen, dass Angehörige oder Personen aus Risikogruppen nicht vor Ort teilnehmen können, ohne Angehörige oder sich selbst zu gefährden.Es gibt keinen zeitlichen Druck hinter der UG-Novelle, somit wäre eine Verschiebung auf nach der Pandemie eine reale Möglichkeit, die von Ihnen und Ihrer Regierung jedoch trotz mehrmaligen Ansuchen[1] bisher nicht wahrgenommen wurde.
Ein weiterer Kritikpunkt an der Herangehensweise dieser Novelle ist die von Ihnen und Ihrem Bildungsministerium in Auftrag gegebene Studie zur Effizienzsteigerung von Studierenden, durchgeführt von dem Rechtswissenschaftler Univ.-Prof. Dr. Klaus Poier. Die Originalstudie wurde nicht veröffentlicht. Diese Intransparenz hindert eine fundierte, fachliche Diskussion und deutet wie die bisherigen Kritikpunkte auf die Bestrebung eines exkludierendes Über-den-Kopf-hinweg-entscheiden hin. Außerdem erscheint aus unserer Sicht der rechtswissenschaftliche Vergleich zwar ein interessanter Impuls, der jedoch alleinstehend nicht ausreicht, um in weiterer Folge Maßnahmen abzuleiten. Als (Bildungs-)Wissenschaftler:innen sehen wir den Bedarf einer bildungswissenschaftlich fundierten Studie, die sich mit der Lebensrealität von Studierenden auseinandersetzt, in einem weiteren Schritt Maßnahmen erarbeitet die schließlich in juristische Formulierungen abgeleitet werden.
Zu Ihren Zielen der Novelle, die sich wohl an den Ergebnissen der rechtswissenschaftlichen Studie orientieren, zählen unter anderem die Steigerung der prüfungsaktiven Studien, die Verkürzung der Studiendauer von Bachelor- und Diplomstudien, die Senkung der drop-out-Raten von Bachelor- und Diplomstudien[2] und als wichtigstes Ziel wird die Weiterentwicklung eines lebensnahen Studienrechts genannt[3].
Prüfungsaktiv sind jene Studierende, die es schaffen, pro Studienjahr 16 ECTS nachzuweisen. Mehr Prüfungsaktivität liegt auch im Interesse der Universität, da sie eine der zentralen Kennzahlen der Universitätsfinanzierung darstellt. Der Gedanke, dass durch die Einführung einer Mindeststudienleistung mehr Studierende prüfungsaktiv sein werden, wirkt jedoch nicht ausgereift. Jene Studierende, denen es nicht gelingt, die Mindeststudienleistung zu erfüllen, sollen nicht nur exmatrikuliert, sondern auch 10 Jahre von diesem Studiengang gesperrt werden. Sie haben demnach auch 10 Jahre lang nicht mehr die Gelegenheit, prüfungsaktiv zu werden. Durch den erhöhten Druck auf Studierende, die Mindeststudienleistung zu erfüllen, kann sich die Drop Out Rate aus unserer Sicht nur vervielfachen. Zu sagen, es handle sich lediglich um die Erfüllung von 24 ECTS in 2 Jahren ist bei Betrachtung der Lebensrealität der Studierenden kein stichhaltiges Argument. 65 % der Studierenden an österreichischen Universitäten sind berufstätig, mit einem Durchschnitt von 20,5 Stunden pro Woche[4]. Hierbei sind noch nicht jene inkludiert, die Betreuungspflichten, Pflege von Angehörigen oder etwaigen anderen Lebensumständen ebenso verschrieben sind. Betrachtet man dies in Kombination mit einer weiteren geplanten Maßnahme, der Reduzierung von Prüfungsterminen, werden Fragen über die Zielerreichung aufgeworfen.Von bisher vorgeschriebenen 3 Prüfungsterminen pro Semester soll es künftig nur noch 2 geben. Wenn es weniger Möglichkeiten gibt, die Prüfungsaktivität zu erfüllen, kann dies wohl nicht zu ihrer Steigerung beitragen. Rätselhaft ist die Idee, dass so eine Verkürzung der Studiendauer ermöglicht wird. Weiters zu denken, dass weniger Prüfungstermine mit einer größeren Vereinbarkeit mit der Lebensrealität von Studierenden einhergeht, ist schlichtweg nicht nachvollziehbar. Das Aufeinandertreffen von Prüfungsterminen mit etwaigen Dienst- und Betreuungszeiten ist unvermeidbar. Wenig Menschen haben das Privileg zu sagen: „Heute möchte ich nicht arbeiten, ich verschieben meinen Dienst!“, „Heute wird mein Kind nicht krank zu Hause bleiben, ich habe eine Prüfung!“ oder „Heute passt es mir nicht, dass meine Mutter dement ist, ich habe 3 ECTS die auf mich warten.“ Weniger Prüfungstermine bedeutet ganz einfach, weniger Chancen einzuräumen, prüfungsaktiv und im Rahmen einer Mindeststudienleistung zu bleiben.
Wünschenswert wäre es aus unserer Sicht, würde die Novelle Studieren vereinfachen, nicht erschweren, da Hochschul- bzw. Universitäre Bildung sowohl für Individuen als auch die Gesellschaft, damit auch für die Wirtschaft, viele positive Effekte hat.[5] Leider können wir in diesem Rahmen weder die gesamte Bandbreite an bisherigen (bildungs-)wissenschaftlichen Ergebnissen darstellen, die gegen die von Ihnen vorgeschlagenen Maßnahmen sprechen, noch reicht unseres Wissens nach die bisherige Datenlage aus, um endgültige Gegenvorschläge zu bringen. Daher bitten wir Sie wie so viele, die Novelle auf nach der Pandemie zu verschieben. Auf diese Weise kann die Diskussion bezüglich der Verbesserung des Hochschulwesens sinnvoll fortgeführt werden. Einerseits können Sie und wir das gerne im Rahmen eines Gesprächs, wie es auch die AG Jus tat, besprechen. Andererseits wäre es dringend notwendig, dass eine Studie durchgeführt wird, die sich tatsächlich mit den Lebensrealitäten der Studierenden in Österreich auseinandersetzt.
Mit freundlichen Grüßen Studierendenvertretung Bildungswissenschaft Studierendenvertretung Sprachwissenschaft
[1]https://www.derstandard.at/story/2000121943835/mindeststudienleistung-24-ects-punkte-binnen-zwei-jahren-verpflichtend [Stand 20.12.2020] [2] https://www.parlament.gv.at/PAKT/VHG/XXVII/ME/ME_00079/index.shtml [3] https://www.parlament.gv.at/PAKT/VHG/XXVII/ME/ME_00079/imfname_852539.pdf [4] Unger, M. et al. (2019). Studierenden-Sozialerhebung 2019. Kernbericht. Wien: Institut für Höhere Studien.d [5] Janger, J. et al. (2017). Wirtschaftliche und gesellschaftliche Effekte von Universitäten. Wien: Österreichisches Institut für Wirtschaftsforschung. Jongbloed, J. & Pullman, A. (2016). Well-being in the Welfare State: the redistributive capacity of education. European Journal of Education, 51, 564-586. Senior, R. et al. (2018). The rules of engagement. Student engagement and motivation to improve the quality of undergraduate learning. frontiers in Education, 3(32), 1-9. |